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"Ein gut konzipierter Modellversuch zum Grundeinkommen bringt die Wissenschaft voran" - Interview mit Simon März (FRIBIS)

17. November 2022

Lieber Simon, Du forschst am FRIBIS – einem wichtigen Partner der Expedition Grundeinkommen. Welche Aspekte des BGE beleuchtest Du gerade in Deiner Arbeit?

Für mein aktuelles Paper habe ich zum Beispiel diskutiert, ob ein Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen aus wissenschaftlicher und empirischer Sicht Sinn ergeben würde – und ziehe den Vergleich zu Pilotprojekten zum Grundeinkommen, die schon anderswo auf der Welt stattgefunden haben. Mein Ergebnis war klar: Ein solcher Modellversuch wäre sehr sinnvoll.

Was würde Dich an einem Modellversuch besonders interessieren?

Sehr spannend finde ich, dass viele theoretische Modelle aus den Wirtschaftswissenschaften mit einem solchen Feldversuch empirisch überprüft werden können. Wir nennen das experimentelle Ökonomik. Das heißt: Wir überprüfen die Modelle, die an Universitäten gelehrt werden und in der Wirtschaftsforschung zum Einsatz kommen, faktisch anhand der Realität. Das kann auch dabei helfen, einige von ihnen tatsächlich zu verfeinern. Ein gut konzipierter Modellversuch bringt die Wissenschaft sehr weiter – gerade dann, wenn er im politökonomischen Umfeld abläuft. Hier werden Fragen beleuchtet, die bisher noch kaum untersucht worden sind: Wie werden die Zahlungen etabliert? Wie laufen die Verhandlungsprozesse ab?

Simon Maerz, FRIBIS (Foto von Enno Schmidt)

Simon März, Foto: Enno Schmidt

 

Welche ökonomischen Modelle sind das denn, die widerlegt oder erweitert werden könnten?

Zum Beispiel das klassische Einkommen-Freizeit-Modell: Vereinfacht gesprochen besagt es, dass Freizeit für Menschen immer wünschenswerter ist als Arbeit. Mit Grundeinkommen würden sie also weniger arbeiten. Aufbauend darauf besagt die Theorie der optimalen Besteuerung, dass im Idealfall immer Arbeit und Konsum besteuert werden sollten. Wenn man beides zusammennimmt, heißt das: Mit einem Grundeinkommen würde sich die Steuerbasis damit verkleinern. Wenn Ökonomen sich gegen ein BGE aussprechen, berufen sie sich meist auf diese Modelle. Das war jüngst bei der Studie des ifo-Instituts für das Bundesfinanzministerium zu beobachten. Wir am FRIBIS wollen herausfinden, ob diese Annahmen und darauf aufbauende Modelle denn tatsächlich in dieser reinen Form gültig sind.

Was spricht denn dafür, dass diese Modelle nicht zutreffen und daher verworfen werden müssen?

Viele Modelle unterstellen zum Beispiel, dass Menschen immer strikt “rational” handeln – was aber, wie wir wissen, nicht zutrifft. Mithilfe der Behavioural Economics – der Verhaltensökonomie – untersuchen wir, wie bestimmte Verhaltensmuster die Entscheidungen der Menschen im Vergleich zur reinen Lehre verändern. Das ist ein typischer wissenschaftlicher Kreislauf.

Ein anderes Beispiel: Das Einkommens-Freizeit-Modell berücksichtigt zum Beispiel keine unbezahlte Arbeit und geht davon aus, dass alle Menschen mehr Freizeit konsumieren würden, wenn sie Geld ohne Arbeitsverpflichtung bekommen. Interessanterweise legen viele Studien aber auch den Schluss nahe, dass viele Menschen mit einem BGE ihr Arbeitsangebot nicht reduzieren würden – oder zumindest deutlich weniger reduzieren würden, als das Modell das vermuten lässt. Die Pilotprojekte in den USA und Kanada lassen zum Beispiel signifikante Zweifel an der Gültigkeit bzw. Genauigkeit dieses Modells aufkommen. Prof. Neumärker und Ana Palermo Kuss vom Götz-Werner-Lehrstuhl haben das Modell daher um unbezahlte Arbeit erweitert.

Welche anderen Forschungsergebnisse hat das FRIBIS denn in den letzten Jahren schon zum BGE erzielt?

Der Götz-Werner-Lehrstuhl um Prof. Neumärker und das FRIBIS Team VATUBI haben zum Beispiel Berechnungen zur Finanzierung eines BGE durch die Mehrwertsteuer durchgeführt. Die meisten Teams sind international besetzt. Das Team Basic Income for Peacebuilding untersucht Auswirkungen des BGE in Post-Conflict Regionen und zur Konfliktvermeidung. Ein anderes Team untersucht Auswirkungen eines BGE auf die Care-Arbeit und den Arbeitsbegriff generell. Es wird auch betrachtet, inwieweit ein BGE die benötigte sozial-ökologische Transformation ermöglichen würde. Ein weiteres Team erforscht experimentell Sozialvertragstheorien einer BGE-Gesellschaft. Und wir schauen auf den Zusammenhang zwischen BGE und gesellschaftlicher Partizipation, insbesondere auch mehr demokratische Teilnahme. Natürlich fehlt auch das Gender-Thema nicht: Was bewirkt ein BGE in dieser Frage? Ich selbst werde mich in meiner Doktorarbeit vor allem mit der Finanzierung der Modellversuche der "Expedition Grundeinkommen" beschäftigen.

Vielen Dank, lieber Simon, für dieses Gespräch.